Keltische Siedler und mittelalterliche Handwerker - Eine Stadtkerngrabung auf dem Passauer Neumarkt1
Jörg-Peter Niemeier
Die Passauer Halbinsel zwischen Donau und Inn ist ein seit über 6000
Jahren bevorzugtes Siedlungsgebiet. Im Mittelalter erstreckte sich die Passauer
Altstadt von der Ortspitze am Zusammenfluss von Donau und Inn
bis zur sog. Römerwehr, die im 10. Jahrhundert errichtet wurde. Westlich
dieser eigentlichen Civitas entstand wohl schon im 10./11. Jahrhundert
ein Suburbium. Hier ließen sich vor allen Dingen Handwerker mit ihren
Betrieben nieder. Für diese Vorstadt ist noch heute die Bezeichnung "Neumarkt"
gebräuchlich. Der lateinische Name Novum Forum ist zu Beginn
des 13. Jahrhunderts belegt2. Bedingt durch die politischen Umstände
wurden unter Bischof Manegold für den Bau einer Stadtmauer im Jahr
1209 Steuern erhoben, um den Neumarkt zu schützen. Aus der Urkunde
von 1209 geht hervor, dass eine ältere Mauer "wegen der Schwäche des
Walls und der Baufälligkeit der Mauer" unbedingt zu erneuern war3. Es musste also eine Vorgängerbefestigung ersetzt werden; so dürfte der Neumarkt
bereits seit dem 12. Jahrhundert mit einer Abschnittsbefestigung
vom Inn zur Donau gesichert gewesen sein. Diese Stadtmauer, die sicher
im Laufe der Jahrhunderte erweitert wurde, hat die Stadtarchäologie seit
ihrer Einrichtung 1988 immer wieder bei den verschiedensten Baumaßnahmen
dokumentiert.
Feuergefährliche und Gestank verbreitende Gewerbe wurden aus nachvollziehbaren
Gründen meist am Rande der Stadt, also an der Stadtmauer,
angesiedelt, wenn man sie nicht gleich außerhalb der Städte ihrem Handwerk
nachgehen ließ. Das Grabungsareal von 2006/2007 liegt in nächster
Nähe zur Stadtmauer von 1209. Verursacht wurde diese Rettungsgrabung
durch eine geplante Neubebauung in Form einer Passage mit Wohn- und
Geschäftsräumen zwischen der Heiliggeistgasse und der heutigen
Theresienstraße (Abb. 1).
Der größte Teil des Grabungsgeländes war bereits Anfang der 1970er Jahre
mit einer nicht unterkellerten Lagerhalle für ein Möbelhaus bebaut worden.
Obwohl man für die Bodenplatte mit dem darunter liegenden Frostschutzkies
die obersten Schichten des ehemaligen Gartengeländes abgetragen und
zahlreiche Punktfundamente betoniert hatte, ergaben sich bei der archäologischen
Untersuchung der Fläche nach Abriss der Halle doch zahlreiche
Funde und Befunde (Abb. 2) (Abb. 3).
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Spätmittelalter:
Nach Grabungen und Funden in der Umgebung und einer Sondage auf dem
Grundstück zwischen Heiliggeistgasse und Theresienstraße waren Befunde
entsprechender Zeitstellung zu erwarten. Dies war auch in der Baugenehmigung
als Begründung zur notwendigen archäologischen Untersuchung
beschrieben. Die erwarteten Befunde zur mittelalterlichen Siedlungsgeschichte
traten ebenso wie solche der Spätlatènezeit zu Tage.
Etwa parallel zur Heiliggeistgasse, also im südlichen Teil der Grabungsfläche,
fand die erste Kampagne im Spätsommer und Herbst 2006 statt. Allein
in diesem Bereich an der Heiliggeistgasse kamen auf engstem Raum über
20 von insgesamt 41 Lehmkuppelöfen zu Tage (Abb. 3)
Diese Öfen hatten im Planum einen Durchmesser von etwa 1,0 - ca. 1,20 m
(Abb. 4, Objekt 56). Durch die Hitze des Feuers war die Ofenwandung
verziegelt. Der Schürkanal zeichnete sich durch eine ebenfalls z. T. verziegelte,
länglich ovale Ausbuchtung im Boden ab. Diese Lehmkuppelöfen können die unterschiedlichsten Handwerker für die Herstellung ihrer Produkte genutzt haben. Ohne eindeutige Beifunde ist es schwierig, die ehemalige Funktion dieser Öfen zu bestimmen. Es könnten, wie in der Passauer
Innstadt, Eisenverhüttungsöfen gewesen sein4, ebenso wäre auch die
Nutzung durch Schmiede im Bereich des Möglichen. In Regensburg haben
Bäcker in solchen Öfen ihre Brote gebacken5. Diese Handwerker scheiden
als einstige Betreiber an der Heiliggeistgasse jedoch aus.
Zur Interpretation unserer Öfen müssen die weiteren Grabungsbefunde
und Funde herangezogen werden. In unmittelbarer Nachbarschaft zu den
Lehmkuppelöfen fanden sich insgesamt 12 von 14 kreisrunden Schächten
mit einem Durchmesser von ca. 1,50 m (Abb. 5, Objekt 25).
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Einige Schächte schnitten die Lehmkuppelöfen und umgekehrt (Abb. 3,
Objekte 2, 9, 10, 11, 12, 25, 60; 34, 35, 36; Foto: Abb. 5, Objekte 25 und 60).
Das bedeutet, dass Öfen und Schächte gleichzeitig genutzt wurden. Sie
gehörten zu ein und demselben Betrieb. Die mitgefundene Keramik datiert
diesen Handwerksbetrieb in die Zeit des 14./15. Jahrhunderts (s. u.).
Bei den Schächten lassen sich zwei Typen unterscheiden. Der eine war mit
einer Holzverschalung in den Boden eingetieft. Dabei variiert die Tiefe von etwa einem Meter bis zu über 3 m. Im Profil zeichnen sich die vermoderten
Holzverschalungen als dunkle, relativ scharf akzentuierte Linien am Rande
des Schachtes ab (Abb. 6, Objekt 17). In manchen Schächten fanden sich
dicke Schichtpakete, vor allem mit Keramik und Knochen. Nach Aufgabe
des Betriebes wurden die Schächte offenbar zur Müllentsorgung genutzt.
Ein weiteres Beispiel eines holzverschalten Schachtes ist rund 2,40 m
tief (Abb. 7, Objekt 29). Die ursprüngliche Tiefe war noch größer, denn
wir bewegen uns mit dem heutigen Schachtrand bereits unterhalb des
ehemaligen Laufhorizontes. Die Holzverschalung weist darauf hin, dass
hier Wasser oder andere Flüssigkeiten eingefüllt wurden, die ansonsten
im anstehenden, leicht lehmigen Schwemmsand versickert wären. Andere
Befunde waren nur 1 m tief, aber auch holzverschalt und senkrecht in den
Boden getrieben, also eher wannenartige Gruben.
Bei einem weiteren Beispiel konnten wir keine Holzverschalung dokumentieren;
wegen der Tiefe und dem senkrecht nach unten verlaufenden Rand
dürfte es sich auch um ein ursprünglich holzverschaltes Exemplar handeln
(Abb. 8, Objekt 86).
Bei dem anderen Schachttyp fehlt die Holzverschalung (Abb. 9, Objekt
10). Die Schächte waren glockenförmig mit der Öffnung nach oben in
den Schwemmsand eingetieft. Das zweite Beispiel eines Schachtes ohne Verschalung
konnten wir aus statischen Gründen - er lag unmittelbar an einer
Hauswand - nur zum Teil ergraben (Abb. 10, Objekt 26). Ein Großteil der Keramik-
und Knochenfunde stammt jedoch aus diesen Schächten.
Welche spätmittelalterlichen Betriebe benötigten nun zur Erzeugung ihrer Produkte wasserdichte Behälter und Öfen? Die Hausakten reichen nicht soweit zurück und tragen daher zur Beantwortung der Frage, welche Handwerker hier einst arbeiteten nichts bei. Der heutige Straßenname "Heiliggeistgasse" oder der frühere "Hintere Gasse" helfen leider ebenso bei der Benennung des Gewerbes, wie in anderen mittelalterlichen Städten oder an anderen Stellen in Passau selbst, nicht weiter.
Die erste Überlegung zur Funktion des Betriebes führte in Richtung Lederer.
Die Schächte könnten dabei zum Gerben von Tierhäuten benutzt worden sein. Wozu aber benötigten die Gerber in solch großer Anzahl Lehmkuppelöfen? Zudem sind zwei Bereiche in Passau mit Häusern der Lederer bekannt. Sie arbeiteten zum einen am südlichen Ufer des Inn in der Innstadt, in der
heutigen Lederergasse. Die Häuser sind zum Teil heute noch als Ledererhäuser durch ihre Giebelkonstruktionen mit den Vorrichtungen zum Aufhängen der Tierhäute erkennbar. Der andere Bereich der Lederproduktion liegt im
Neumarkt ganz in der Nähe unserer Grabung, etwas flussabwärts am Unteren Sand. Beide Bereiche
liegen direkt am Innufer. Hier war das nötige Fließwasser vorhanden, um die Häute zu reinigen. Der in unserer Grabung angetroffene Betrieb liegt in nur geringer Entfernung zum Fluss.
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In dem zahlreich gefundenen Knochenmaterial fanden sich einige Ziegenknochen
(s. u.). Dies ließ zunächst an Weißgerber denken; sie könnten die Häute in den Schächten gegerbt haben. Aber wie o. a., spricht die Entfernung zum Innufer gegen
diese Interpretation. Außerdem benötigten sie ebenso keine Öfen.
Die Leimsieder bilden ein weiteres Tierknochen verarbeitendes Gewerbe.
Sie kochten aber ihre Knochen, wie zeitgenössische Darstellungen zeigen,
in großen Kesseln, benötigten also weder holzverschalte Schächte noch
Lehmkuppelöfen. Sie scheiden somit als Betreiber unseres Betriebs aus.
Allein aus der Grabung 2006 stammen über 50 kg Tierknochen. Weitere
kamen bei der Kampagne von 2007 noch hinzu. 50 kg Tierknochen sind
rund 2200 Stück. Diese Funde bearbeitete N. Pöllath von der Universität
München (s. eigenen Beitrag). Sie hat festgestellt, dass nahezu 100 % von
diesen 2200 Knochenfunden von Haustieren stammen. Dies entspricht
ziemlich exakt anderen mittelalterlichen / frühneuzeitlichen Fundorten, wie
etwa Regensburg mit 0,7 % Wildanteil oder Augsburg mit 0,1 %. Dabei ist ein hoher Anteil von Rinderknochen ebenfalls charakteristisch
für dieses spätmittelalterliche bis frühneuzeitliche Material in unseren Städten.
Aus den Schächten stammen neben den Rinderknochen auch Teilskelette von zwei Schweinen, von mindestens vier Hunden und einer Katze. Diese Reste von Tieren unterschiedlichen Alters, teils jung, teils älter, sind wahrscheinlich mit den Speiseresten in den aufgelassenen Schächten entsorgt worden. Den hohen Anteil von Ziegenknochen verdanken wir vor allen Dingen einem Befund. Dieser Befund sollte entscheidend zur Interpretation des ergrabenen Betriebes beitragen
können. In einem der Öfen waren größere Mengen von Ziegenhörnern in den Boden gesteckt und regelrecht eingeschichtet worden (Abb. 11, Objekt 30). Da die Ziegenhörner keine Brandspuren aufwiesen, ist es zum Brand offenbar nicht mehr gekommen. Oder wollte man die Hörner lediglich trocknen?
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Eine solche Ansammlung von Knochen ähnlicher Zeitstellung ist mir
bisher nur in einem vergleichbaren Fall aus Enns-Lorch bekannt. Es handelt
sich um eine Grabung der 50er Jahre in einem spätantiken Friedhof, dem
sogenannten Ziegelfeld. Der "Hornzapfenboden" ist einschichtig und liegt
über dem Bestattungshorizont. Er besteht aus Rinderhörnern6. In seiner
Dissertation kann G. Knecht plausibel erläutern, dass es sich bei diesem
Befund um eine Grube zum Wässern, zum "Ausfaulen" der Rinderhörner handelte7. Sie diente dazu,
die anhaftenden Schlachtreste zu entfernen. Knecht interpretierte die Rinderhörner als Material für Hornrichter, hier allerdings in gänzlich anderem Zusammenhang als bei
dem Passauer Befund.
Auch die Passauer Ziegenhörner und -knochen haben längere Zeit im Wasser gelegen, was zu einer
porösen, fast bröseligen Konsistenz geführt hat, wie Frau Pöllath feststellte. Die Hornreste stammten überwiegend von männlichen Tieren. Dies legt auch hier den Hinweis auf das Handwerk
des Hornrichters oder Beinschneiders nahe. Diese bevorzugten bei der Herstellung ihrer Produkte
in erster Linie auch größere Hörner von Ziegenböcken. Außerdem fehlen in dem Ofen die zu erwartenden Anteile von Fußknochen, auch dies scheint auf das Handwerk eines Hornschnitzers und Hornrichters zu deuten. Den auf den ersten Blick am besten zu vergleichenden Befund bietet eine Grabung aus dem Jahre 1957/58 an der "hornpot lane" (!) in York8. Hier
fand man neben einer Grube mit Hörnern auch kleinere Öfen.
Die Grube war flach mit einem Boden aus Lehm. Die Wandung bestand aus
Lehm und Holz. Sie war verfüllt mit annähernd 500 Hörnern, zum größten
Teil von Rindern und Ziegen, und stammt aus einem Kontext des 14.
Jahrhunderts9. Wie in Enns handelt es sich um eine Grube zum Ausfaulen
der Hörner. Leider gibt es keine Zeichnung oder detaillierte Beschreibung der Grube in dem Bericht. Umriss und Tiefe lassen sich somit nicht erschließen, sodass wir den britischen
Befund von York nur schwer mit dem Passauer vergleichen können.
Identisch könnte aber die
Funktion sein: Um das
Horn zu bearbeiten hatte
der Hornrichter einige
vorbereitende Arbeiten zu
verrichten10. Knochen und
Hörner bezog er, wie in
York nachgewiesen, direkt
vom Schlachter11. Um Horn
und Knochen zu reinigen,
legte man das Material zum
Entfaulen ins Wasser (s. o.).
Dies konnte auch in mehreren
Schächten geschehen,
um so, je nach Dauer der
Wässerung, unterschiedliche
Härtegrade des Horns
zu erreichen12.
In unmittelbarer Nachbarschaft
zur Grube in York entdeckte man in einem weiteren Grabungsschnitt die Reste von vier kleinen
Öfen derselben Zeitstellung wie die Grube. Zumindest die Basis dieser
Öfen war aus Bruchsteinen gemauert13. Die Hörner und Knochen wurden
gekocht, um das Material vor dem eigentlichen Richten, Schnitzen oder
sonstigen Bearbeitungen elastisch zu machen. Der Hornrichter presste das
Horn von Wiederkäuern dann flach, er hat es also gerichtet. Schließlich
war das Horn so dünn, dass es transparent war. Dieses so bearbeitete Material
setzte man dann z. B. in Laternen ein. Ein Beleg findet sich z. B. in
einer Kogge14. Zu unserem Passauer Ofenbefund besteht jedoch ein gewichtiger Unterschied.
Hier sollte das Horn lediglich getrocknet werden, was aber nicht
zu einem elastischeren Horn geführt hätte, sondern zu einer eher brüchigen Konsistenz. Zum Kochen hätte man wie in York eher große Kessel benötigt.
Für entsprechende Kessel sind die Lehmkuppelöfen natürlich nicht
geeignet. Ein vergleichbarer Befund mit Einlagerung von Ziegenhörnern
in einem Ofen ist mir nicht bekannt.
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Nur sehr wenige Werkstattabfälle oder Artefakte von Beinschneidern wurden gefunden. Abfälle
von einem Knopfhersteller sind der einzige Hinweis auf dieses Handwerk. Ein Messergriff belegt nicht unbedingt die Herstellung vor Ort. Außerdem gibt es noch einige Paternosterperlen
und einen Knopf (Abb. 12).So scheint mir die Deutung unseres Grabungsbefundes wenigstens für ein Handwerk, das des Hornrichters und Beinschneiders zwar möglich, letztendlich aber nicht bewiesen zu sein. Die
Lehmkuppelöfen in Kombination mit den teilweise holzverschalten Schächten in Passau haben keinen exakt vergleichbaren Befund. Die engste Parallele zeigt noch die Hornrichterwerkstatt
in York, jedoch sind die Öfen nicht zu vergleichen. Ihre Benutzung führt zu völlig unterschiedlichen Resultaten. Auch stellt sich die Frage zur Funktion der Schächte.
Waren sie in Passau durch ihre große Tiefe nicht völlig unpraktisch zum Wässern von Knochen? So
kann ich nur allgemein ein oder mehrere Handwerkszweige, die Tierhörner und -knochen zur
Herstellung ihrer Produkte verarbeiteten, vermuten, eindeutig benennen kann ich sie bei meinem
derzeitigen Kenntnisstand jedoch nicht.
Vielleicht waren die Handwerkszweige des Hornrichters und Beinschneiders aber auch nur ein
Nebenprodukt, ein Nebenerwerb der eigentlichen Produktion. Die eigentliche Funktion könnte auch die Herstellung von geräuchertem Fleisch sein. In den Schächten hätte man das Fleisch einlegen und pökeln und anschließend in den Öfen räuchern können15. Leider lässt sich auch diese Überlegung nicht beweisen. Außer den Knochen besteht das übrige spätmittelalterliche Fundgut aus Keramik. In erster Linie handelt es sich um Schwarzhafnerware, teilweise mit Stempeln versehen (Abb. 13). Bei den vollständig erhaltenen Töpfen ergab der geschlämmte Inhalt u. a. einige Reste von Jungfischen. Es handelt sich dabei um Karpfenfische, die höchstens eine Länge von 10 cm aufwiesen: Ellritzen, Nasen, Rotaugen und Weißfische. Diese Fische sind für Fischer wegen ihrer Größe nicht interessant. Eine Erklärung könnte sein, dass das Gelände periodisch überschwemmt war und die Jungfische in die offenen Schächte gerieten und dort verendeten. Neben zwei Öllämpchen haben die Schwarzhafner auch eine Spardose produziert (Abb. 14). Es fanden sich lediglich drei mittelalterliche Münzen aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts16. Aus dem üblichen Rahmen fiel das Bruchstück eines Gefäßes, das wohl bei Herrenabenden Verwendung fand (Abb. 15). Außer der Schwarzhafnerware gab es einige Ofenkacheln vom Typ Topfkachel des 15. Jahrhunderts (Abb. 16). Das schönste Fundstück ist ein bereits restauriertes Nuppenglas aus dem 15. Jahrhundert (Abb. 17).
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Spätlatènezeit:
Schon nach einer Sondage 2001 und den Funden früherer Grabungen in
der unmittelbaren Umgebung war es nicht verwunderlich, dass die mittelalterlichen
Handwerker nicht die ersten Siedler auf dem Neumarkt waren.
Mit drei, vielleicht auch vier Befunden und zahlreichen Funden war auch
die Spätlatènezeit vertreten. Bisher hat die Stadtarchäologie an keiner
anderen Stelle in Passau so zahlreiche Funde dieser Zeit bergen können,
wie während der hier vorgestellten Grabung. Dies hängt natürlich auch mit
der Größe der Grabungsfläche zusammen. Die keltischen Funde streuten
über das gesamte Gelände. Das bedeutendste Fundstück der Spätlatènezeit aus dieser Grabung stammt
leider nicht aus einem spätlatènezeitlichen Befund, sondern aus einem mittelalterlichen
(Abb. 2, Objekt 67). Es handelt sich um eine keltische Bronzemünze (Abb. 18). Der Fund ist allein schon deshalb bedeutend, weil aus
dem Bereich von Altstadt und Neumarkt bisher keine keltischen Münzen
geborgen werden konnten, und es sich somit um das erste Exemplar dieser
Art handelt. Die Münze hat B. Ziegaus bestimmt, ihm verdanke ich folgende
Erkenntnisse17.
Die Münze ist fast vier Gramm schwer, stark abgegriffen und hat einen
Durchmesser von 18 mm. Im Vergleich mit anderen Stücken kann man die
Darstellungen auf beiden Seiten der Münze noch erahnen (Abb. 18). Es handelt sich auf der einen Seite um einen Apollo-Kopf. Der stilisierte Kopf
ist lorbeerbekränzt. Auf der anderen Seite erscheint eine Biga mit einem
Wagenlenker, eine Darstellung, die sich stark an makedonischen Stateren
orientiert. Diese Philipper-Statere haben die gallische Münzprägung über
drei Jahrhunderte stark beeinflusst. Der vorliegende Münztyp ist bis heute
außerordentlich selten. Es gibt nur vier vergleichbare Exemplare.
Es handelt sich um eine Gold/Silberlegierung von 6 1/2 Gramm. Parallel
dazu sind auch Bronzemünzen mit Gewichten um 4 Gramm nachgewiesen.
Hier haben die Münzschneider denselben Stempel wie bei den Goldmünzen
benutzt. Das Prägen von bildgleichen Typen in unterschiedlichen Metalllegierungen ist nicht
ungewöhnlich; aber sehr selten ist, dass man dafür denselben Stempel verwendet18. Die Münze selbst kann man
dem keltischen Stamm der Allobroger zuschreiben. Der Hauptort, das politische Zentrum, dieses
keltischen Stammes ist das heutige Vienne im Südosten Frankreichs, etwa im Dauphiné und in Savoyen. Erwähnt werden die Allobroger von Polybios, Cicero und Caesar. Die Münze datiert ins
1. Jahrhundert v. Chr. Ihre Münzstätte kann man nicht bestimmen. Es handelt sich
aber auf jeden Fall um eine Münze, die in der Antike keine hohe Kaufkraft hatte.
Interessant ist, dass ein solches Stück, über eine Distanz von gut 600 Kilometer Luftlinie vom Stammesgebiet entfernt in Bayern, in Passau, gefunden wurde. Eine einzige Silbermünze der Allobroger mit bayerischem Fundort wurde 1980 in Manching entdeckt. In Manching
als Handelsplatz mit überregionaler Bedeutung kann der Fund solch einer Fremdprägung nicht verwundern. Wie unsere Münze nach Passau kam, auf direktem Weg oder über den Zwischenhandel, muss offen bleiben, auch, ob sie überhaupt als Zahlungsmittel akzeptiert wurde. "Die Münze
beleuchtet schlaglichtartig die Weitläufigkeit keltischer Prägungen, die keineswegs
- wie man das vielleicht vermuten würde - auf Edelmetallprägungen
beschränkt war" 19.
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Bodenanalytik und OSL-Messungen
Wichtiger für die Passauer Siedlungsgeschichte als dieser einzigartige Fund waren die Untersuchungen an den Befunden. Den ersten Befund (Abb. 2,
Objekt 107) entdeckten wir bereits im Jahr 2006, der schon beim Baggerplanum
sichtbar wurde. Glücklicherweise war dieser etwas nördlicher gelegene
Bereich von den mittelalterlichen Handwerkern nicht angetastet worden. Die Umrisse der
Grube waren im Planum wie auch im Profil kaum zu erkennen.
Aus dieser Grube stammen etwas Schlacke sowie einige Metallfunde: Eisenteile,
wie Nadeln, Haken und ein Ring aus Bronze, der Teil eines Spiegelgriffes
(Abb.19)20. Die entsprechende graphitgemagerte
und kammstrichverzierte Ware fehlte natürlich auch nicht. Der Teil eines Siebes
dient als Beispiel für die Grobkeramik (Abb. 20). In der Kampagne 2007 kamen zwei weitere Gruben im südöstlichen
Bereich der Grabungsfläche zu Tage (Abb. 2, Objekte 221 und 222).
Die Grube Objekt 221 datieren einschlägige Funde, wie das Fragment
einer blauen Glasperle, tongrundige Feinkeramik mit roter Bemalung, das
Bruchstück einer Flasche, das abgerundet wurde und möglicherweise mit
Stoff oder Wachs als Flaschenverschluss diente und der untere Teil einer
kammstrichverzierten Flasche (Abb. 21).
Wie bei den beiden spätlatènezeitlichen
Gruben
(Objekte 107 und 221)
war auch bei der dritten
(Abb. 2, Objekt 222)
zu beobachten, dass wir
zunächst im Planum oberhalb
der Gruben zwar
keltische Funde in relativ
großer Zahl bergen, jedoch
keine Befunde erkennen
konnten. Die Scherben kamen
aus einem lehmigen
Schwemmsandbereich. Allerdings
machten uns einige
Konzentrationen von
Keramikbruchstücken in dem anscheinend befundleeren
Gelände stutzig. In
den Bereichen, wo größere
Konzentrationen auftraten,
wurden weitere Plana angelegt,
und unterhalb dieser
Konzentrationen kamen
tatsächlich Grubenreste zu
Tage. Sie zeichneten sich
nicht sonderlich scharfkantig
im Boden ab. Auch die
dritte Grube datiert wie die
beiden anderen durch die Keramik in die Zeit des 2./1. Jahrhunderts v. Chr. (Abb. 22). Im Planum der
dritten Grube zeigten sich vermehrt Bruchsteine, allerdings ohne Zusammenhang
(Abb. 23). Sie erscheinen wiederum im Profil und darüber erkennt
man die anscheinend sterile Schicht (Abb. 24). Um unsere laienhafte Vermutung, dass der - über den Grubenresten - keltische Scherben ohne Befundzusammenhang führende Horizont von einer
oder mehreren Überschwemmungen herrührte, wissenschaftlich zu belegen, zog die Stadtarchäologie als Fachmann den Geomorphologen M. Leopold zu Rate21. Außerdem sollte der Zeitpunkt des Hochflutereignisses geklärt werden. M. Leopold nahm aus einem von uns vorbereiteten Profil am östlichen Rand der Grube sechs Proben, drei Sedimentproben und drei zur OSL-Datierung (Abb. 25). Die erste Sedimentprobe lag oberhalb der spätlatènezeitlichen Grube. Einige Kiesel und vor allem einige Muschelreste machten sehr wahrscheinlich, dass eine - fluviale Aktivität - stattgefunden hat. Es handelt
sich also tatsächlich um einen Überschwemmungshorizont. Die zweite Probe stammt aus dem Bereich der spätlatènezeitlichen Grube und entspricht der ersten Probe.
Die dritte unterhalb dieser Grube genommene Probe zeigt wiederum
nativen Hochflutlehm, der etwas sandiger als bei Probe 1 ist. Noch einmal kurz zusammengefasst: Wegen der einheitlichen Korngrößenverteilung im gesamten Profilverlauf und wegen der Dominanz von Feinsanden ist sicher, dass es sich bei den Sedimenten unseres Profils um typische Hochflutlehme handelt, die wahrscheinlich von Überflutungen des Inn herrühren. Muschelfunde und fluvialer Kies stützen diese Beobachtungen und sichern sie ab.
Der einzige chronologische Fixpunkt unseres Profils ist die keltische Grube
aus der Zeit um 100 v. Chr. Wie datieren nun die Hochflutsedimente? Das
Nivellement der Proben zur Datierung entspricht denen für die Bodenanalytik
(Abb. 25). Die Datierung sollte mittels optisch stimulierter Lumineszenz
(OSL ) vorgenommen werden. Bei dieser Messungsmethode handelt es
sich um die genaue Ermittlung des letztmaligen Belichtungszeitpunkt eines
Minerals. Meistens handelt es sich dabei um Quarze oder Feldspate. "Die
Methode basiert auf der mit wachsendem Alter zunehmenden Strahlenschädigung
von Mineralen. Die überall vorhandene Radioaktivität setzt ionisierende
Strahlen frei, wodurch sich im Wechselspiel mit den Atomen der
Minerale (hier die durch Flut abgelagerten Sedimente) Strahlungsschäden
aufbauen. Die Intensität dieser Strahlenschäden kann gemessen werden" 22.
Bei den Datierungen können noch Änderungen von ca. 10 % eintreten.
Wichtig war zunächst einmal bei den Proben, dass das, was sich aus den
archäologischen Funden ergab, mit der Stratigraphie der OSL-Messung
übereinstimmte. Also, das was unter der Grube liegt, ist älter als 2000 Jahre
und das was darüber liegt, ist entsprechend jünger.
Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass es vor rund 3400 Jahren, also etwa in
der Hochbronzezeit, ein Flutereignis gegeben hat. In dieses Sediment tieften
die Siedler um 100 v. Chr. ihre Grube ein. Dann fanden in der Römerzeit,
in der Zeit von Christi Geburt bis 300 n. Chr., Erosionsvorgänge statt.
Sie können durch Besiedlung oder erneute Überflutungen entstanden sein.
Wahrscheinlicher scheint - auch wegen fehlender römerzeitlicher Funde - ein weiteres Hochwasser. Wiederholte Sedimentablagerungen ab ca. 370 n. Chr. lassen weitere Überflutungen erkennen. Dies dauerte ungefähr bis ins 7./9. Jahrhundert an. Wir befinden uns damit in der Völkerwanderungszeit, einer Zeit, von der bekannt ist, dass es verstärkt Niederschläge und Hochflutereignisse gegeben hat. Hier endet das Sedimentprofil.
Der oberste Bereich, der an anderen Stellen der Grabung noch sichtbar
war, ließ noch erahnen, dass hier einmal ein kultivierter Boden war, ein
Gartengelände, wie das auch der Stadtplan von 1826 besagt (Abb. 1).
Diese Nutzung geht bis in die Frühe Neuzeit zurück. Wichtig ist, dass wir zum ersten Mal für Passau überhaupt solche Daten
gewinnen konnten. Ein Problem der römischen Besiedlungsgeschichte
im heutigen Passau könnte damit erklärt werden, nämlich das Fehlen von
Befunden dieser Zeit im Bereich des südlichen Neumarktes. Die Höhen des
Profils liegen über NN bei 299,5 Metern. Diese Höhe kann man z. B. mit denen des spätantiken Kastells Boiotro vergleichen. Innerhalb des Kastellgeländes
gab es zwar einen Niveauunterschied: Nach Norden zum Inn fällt
das Gelände ab. An keiner Stelle ist ein Laufhorizont erhalten. Im südlichen
Teil der spätantiken Anlage gründet eine Mauer bei 300,50 m ü. NN ,
also einen Meter höher und noch immer weit unter dem Laufhorizont. Die
Römer haben also ganz bewusst an höher gelegenen Stellen Kastelle und
die umgebenden Zivilsiedlungen errichtet, wahrscheinlich um wiederkehrenden
Überschwemmungen auszuweichen. Bezeichnenderweise blieb bei
dem großen Hochwasser von 2002 als eines der wenigen Häuser in der
Lederergasse das Museumsgebäude auf dem Gelände des Kastells von der
Flut verschont. Bei weiteren archäologischen Grabungen in Passau wird
man die geomorphologischen Ergebnisse und die durch OSL Messungen
erzielten Datierungen zur Entwicklung der Besiedlung kaum außer Acht
lassen können.
Text: Dr. Jörg-Peter Niemeier
Kontakt:
Stadtarchäologie Passau, Dr. Thomas Maurer
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Anmerkungen >>> Klick
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Abbildungsnachweis:
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Abb. 1 | |
Ausschnitt aus dem Nachdruck des Urkatasters von 1826/1829 des Bayerischen Landesvermessungsamtes, 1982. |
Abb. 2 - 24 | |
Stadt Passau, Stadtarchäologie (R. Gogräfe, J.-P. Niemeier, J. Schwan). |
Abb. 18 | |
Umzeichnung der Münze nach H. de la Tour, Atlas des Monnaies Gauloises,
(Paris 1892, Nachdr. 1982) Taf. 19, 6067.
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Abb. 25 | |
M. Leopold.
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