Bereits 1995 hat die Stadtarchäologie Passau auf Bitten der Diözese Passau die Öffnung des Grabs zur Erhebung der Gebeine der seligen Gisela archäologisch begleitet. Ein Bericht zu dieser Ausgrabung erschien im Aufsatzband zur Bayerischen Landesausstellung 2001: Bayern - Ungarn, 1000 Jahre (Hrsg. H. W. Wurster u.a., Regensburg 2001, S. 91ff.). Da dieser Aufsatzband in nur kleiner Auflage erschien und relativ schnell vergriffen war, gab und gibt es aus dem In -und Ausland häufig Anfragen zu der Grabung und diesem Artikel. Deshalb hat sich die Stadtarchäologie Passau entschlossen, für alle Interessenten diesen kleinen Grabungsbericht, in annähernd unveränderter Form, auch wenn er nicht mehr ganz aktuell ist, im Internet zu veröffentlichen.
Die Erhebung der Gebeine der seligen Gisela
Im Sommer 1995 boten die Diözese Passau und das Bayer. Landesamt für Denkmalpflege München die Stadtarchäologie Passau, die Öffnung des Grabes zur Erhebung der Gebeine der seligen Gisela, vormaligen bayerischen Prinzessin , ungarischen Königin und Äbtissin des Klosters Niedernburg archäologisch zu begleiten1 . Der Anlaß der erneuten Öffnung des Gisela - Grabes entsprach dem Wunsch der ungarischen Kirche, Reliquien ihrer ersten christlichen Königin zu erhalten.
Der Ort der Bestattung
Das Grab der um 1060 verstorbenen Gisela liegt in der Südostecke der Parzkapelle der Hl. Kreuz -Kirche des Klosters Niedernburg (Abb. 1). Über die Anfänge des Klosters besitzen wir keine schriftlichen Quellen, möglicherweise liegen seine Ursprünge in agilolfingischer Zeit. Die erste Erwähnung stammt aus einem Diplom des Königs Arnulf aus dem Jahr 8882. Die Klosterkirche trägt den Namen Hl. Kreuz - Kirche und St. Pantaleon. Sie hat, wie auch die Grabungen Rainer Christleins von 1978 - 1980 in der Hl. Kreuzkirche des Klosters ergaben3, mehrere Vorgängerbauten, der erste stammt nach W. Sage aus frühmittelalterlicher Zeit4, ein zweiter karolingischer (?) Bau schloß sich an. Ein dritter Bau entsprach in der Breite und der Pfeilerstellung diesem karolingischen Bau, griff aber östlich und westlich weiter aus. Die Agatha- oder Maria-Parzkapelle stiftete der 1360 verstorbene Bürger Philipp Holzhaimer an Stelle der südlichen Nebenapsis5 (Abb. 2).
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Die Grabplatten
Die originale Grabplatte des 11. Jahrhunderts aus weissem Kalkstein (1,54m x 0,54m) deckte das Grab ab (Abb. 3)6. Sie trägt die umlaufende, nur teilweise erhaltene Inschrift: RIBE..IIS HU CRUCIFIXE REDEMPTIS. Über einem Rundbogen im Mittelfeld des Grabsteins steht das Sterbedatum : NON MAI (7. Mai)7. In Flachrelief ist unter dem Rundbogen ein Vortragskreuz mit gewundenem Stab mit der Inschrift ; C,R,V,X und in der Mitte XPI, also Crux Christi, dargestellt. Über dem Kreuz erscheinen zu beiden Seiten zwei antithetisch angeordnete Adler. Neben dem Kreuz steht auf dem Reliefgrund GISYLA ABBATISSA8.
Exakt über der romanischen Grabplatte errichtete man um 1420/30 ein Hochgrab. Ein spitzbogiges Maßwerk (0,66m hoch), das an drei Seiten, an beiden Schmal- und einer Längsseite über dem Giselagrab steht, trägt eine Grabplatte aus rotem Marmor (1,94m, x 0,72m x 0,12m), die im Stil der Zeit die Originalplatte kopiert (Abb. 4). Sie wiederholt die beiden Adler neben dem Kreuz. Die Inschrift lautet: Anno do m lxxxxv non may o venbl dn Gisula soror sancti Hainrici Imperatoris uxor Stephi Regis Ungariae abbatissa huius monasterii hic sepulta9. Den Erhalt der alten Grabplatte und die Wiederholung von Darstellung und Teilen der Inschrift auf dem gotischen Hochgrab deutet W. M. Schmid als eine "für jene Zeit ganz ungewöhnliche antiquarische Tendenz"10
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Frühe Graböffnungen
Die Grabkammer der früheren Äbtissin des Klosters Niedernburg war aus verschiedenen Gründen mehrfach geöffnet worden:
Als man um 1420/30 über der romanischen Grabplatte das Hochgrab errichtete, nahm man die alte Grabplatte auf und untersuchte von oben den Inhalt des Grabes11. 1774 öffnete man bei der Anlage des Grabes der Äbtissin Maria Antonia von Eiseneck das Giselagrab erneut. Ein Teil der westlichen Grabkammer wurde abgebrochen und anschließend recht notdürftig mit Bruchsteinen und Humus wieder verschlossen12. Auch dieser Eingriff ist noch heute sichtbar.
Ein weiterer von Schmid beobachter Eingriff am oberen Ostende der Grabkammer ist nicht datierbar13.
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Die Grabung von 1908
Unter archäologisch/historischen Gesichtspunkten hat 1908 der Münchener Konservator und ehrenamtliche Stadtarchivar von Passau Wolfgang M. Schmid das Grab ein weiteres Mal geöffnet14. Schmid hat bei seiner Grabung das Grab genau untersuchen können. Dabei hat er das Grab von der nördlichen Langseite geöffnet und auch die westliche Schmalseite untersucht (Abb. 5 u. 6). Sein Interesse galt ausschließlich dem Grab und seiner Bestattung. Er entdeckte unter dem Hochgrab eine Grabkammer mit einem vollständig erhaltenen weiblichen Skelett. Die Grabkammer datierte er wegen der Mauer- und Gewölbetechnik in das frühe Mittelalter15. Schmid hat bei seiner Grabung keine Grabbeigaben, keine Reste von Kleidung und auch nicht die von ihm vermutete Bleiplatte mit der Vita der Verstorbenen gefunden. Dies ist vielleicht mit den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Eingriffen zu erklären. Vor dem Skelett der Toten hatte man aber bei all diesen Graböffnungen soviel Ehrfurcht, daß man es wiederbestattete bzw. gar nicht antastete. Das wichtigste Ergebnis von Schmids Grabung und der anschließenden anthropologischen Untersuchung durch F. Birkner war der Nachweis der Identität der Bestattung mit der ungarischen Königin und späteren Abtissin der Klosters Niedernburg, Gisela.
Nachdem F. Birkner die Gebeine 1908 anthropologisch untersucht hatte, bewahrte man das Skelett wieder im Kloster Niedernburg auf. Am 10. April 1918 bestattete man die Gebeine der ungarischen Königin erneut in ihrem Grab in der Parzkapelle. Die Gebeine setzte man in einer barockzeitlichen Eisenkiste, versehen mit einer Urkunde über die Wiederbestattung bei. Dabei durchstieß man einen großen Teil der nördlichen Grabkammermauer, mauerte sie anschließend wieder zu und verputzte sie.
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Die Sondage der Stadtarchäologie Passau von 1995
Die Stadtarchäologie Passau führte die Sondage am Giselagrab an der Nordseite der Grabkammer, also an der Stelle, von der aus 1918 die Überreste erneut bestattet wurden, durch (Abb. 7)16. Die Stelle der Sondage war nicht aus archäologischen Gesichtspunkten gewählt, sondern vielmehr von der Diözese Passau vorgegeben worden, da sich von Süden her das Grab am praktikabelsten öffen ließ. Dies war archäologisch auch durchaus vertretbar, da bereits die Untersuchung von Schmid umfassend, zumindest was das Gisela -Grab betrifft, durchgeführt worden war. Dies bedeutet aber auch, daß der ursprüngliche Befund durch Schmids Ausgrabung zerstört worden war.
Bis zur Unterkante der Grabkammer hatten bereits Bauarbeiter der Diözese Passau das Erdreich abgetragen. Es handelte sich dabei im Wesentlichen um die Verfüllung bei der Wiederbestattung 1918 (Abb. 7, Schicht 2). Danach erfolgte die Anlage von 4 Profilen durch die Stadtarchäologie Passau. Hierbei wurden in insgesamt 12 Plana, die sich durch kleinere auftauchende Befunde und Schichten ergaben, tiefer gegangen. Durch die ausgesprochen kleine Grabungsfläche war ein schichtweiser Abtrag mit Zuordnung der Funde nicht immer möglich, daher kann eine Fundnummer unter mehreren Schichten auftreten. Es ergaben sich 4 Profile, von denen allerdings nur 3 gezeichnet wurden. (Abb. 7).
Für das Gisela - Grab sind die Schichten 2 und 3 von Bedeutung. Schicht 2 zeigt die Verfüllung der Grabkammer nach der Wiederbestattung 1918. Schicht 3 gibt den Terminus post quem für die Errichtung der Grabkammer, allerdings konnten wir kein datierendes Material bergen. Die Schichten ab Schicht 7, sowie die nachfolgenden Schichten 8 -12, sind eindeutig römisch. Schicht 7 stellt den Brandschutt der bei den Alamanneneinfällen um die Mitte des 3. Jahrhunderts zerstörten mittelkaiserzeitlichen Zivilsiedlung dar. Bei dem äußerst zahlreich aufgefundenen verbrannten Hüttenlehm handelt es sich um die Reste eines Fachwerkhauses des Lagerdorfes. Auf diesem Zerstörungshorizont gründeten die Römer dann in der Spätantike die Siedlung und Kastell Batavis17.
Unsere Sondage am Gisela - Grab hatte eine Größe von etwa 1,4 m x 1,3m im oberen Bereich. Mit zunehmender Tiefe verringerte sich die "Grabungsfläche" auf etwa 1.2 x 1,2 m. Trotzdem gelang es, auch an dieser Stelle, beginnend mit der Spätlatènezeit 2000 Jahre Passauer Siedlungsgeschichte nachzuweisen. Diese Erkenntnissse können jedoch nicht überraschen, da bereits die Grabungen R. Christleins entsprechende Ergebnisse zeigten. Allerdings reichte Christleins Grabung seinerzeit nicht bis zur Parzkapelle.
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Die Grabkammer
Am 20.10.1995 öffneten Mitarbeiter der Diözese Passau die Grabkammer. Die in einer Eisentruhe aus der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts bestatteten Gebeine der Gisela wurden durch die Stadtarchäologie geborgen. Danach ergab sich erneut die Gelegenheit, einen Blick in die Grabkammer zu werfen. Die Ausmaße betragen: 1,86m x 0,42m x 0,40m (lichte Länge, Breite und Höhe an größter Ausdehnung).
Die östliche Schmalwand der Grabkammer besteht aus verputzten Granitbruchsteinen (Abb. 8). Zwischen ihr und der Südmauer gibt es eine Baufuge. Welche der beiden Mauern zuerst errichtet wurde, ließ sich bei unserer Sondage archäologisch nicht entscheiden.
Die Südseite mauerte man aus flachen Granitbruchsteinen und verputzte sie lose (Abb. 9). Im oberen Bereich erkennt man über die gesamte Mauerlänge die Abdrücke eines Holzbalkens in einem groben Kalkmörtel.
Die Westseite besteht neben den Teilen der 1918 bei der Wiederbestattung errichteten Ziegelmauer aus lose aufgeschichteten Granitbruchsteinen (Abb. 10). In dieser Form hat sie Schmid bei seiner Grabung wieder aufgebaut18. Ursprünglich handelte es sich um die Schließung der Grabkammer nach dem Eingriff von 1774.
Von der alten Nordmauer sind nur noch 0,55 m ab der östlichen Schmalseite erhalten (Abb. 8). Sie ist in einem Zuge mit der östlichen Schmalseite errichtet worden. Der Rest der Nordseite bildet die Ziegelmauer von 1918, die mit Zementmörtel verputzt wurde.
Die Decke, ein flaches Gewölbe (Abb. 11), besteht aus Granitbruchsteinen, die mit einem grobem Kalkmörtel vergossen worden sind. Abdrücke von Schalbrettern im Kalkmörtel belegen dieKonstruktionsweise des Gewölbes mit Hilfe eines Leergerüstes. Die Decke scheint wegen des anderen Mörtels und der an der Südseite deutlich erkennbaren Fuge zu einem späteren Zeitpunkt als die Südwand entstanden zu sein. Diese Fuge ließ sich an der Nordwand nicht beobachten. Nutzte man für die verstorbene Gisela eine bereits vorhandene Grabkammer und errichtete eine neue Decke nebst neuer Nord- und Ostwand ? Oder handelt es sich um einen späteren Umbau? Schmid, der die Gelegenheit hatte, von Westen ein komplettes Profil durch Hochgrab und Grabkammer zu dokumentieren, glaubte allerdings, daß die Grabkammer einschließlich der Decke den ursprünglichen Zustand des 11. Jahhunderts zeigt19. In seiner Profilzeichnung zeichnet er an beiden Mauern eine Baufuge (Abb. 5). Die Möglichkeit noch einmal von Westen einen Schnitt zu legen, ergab sich für die Passauer Stadtarchäologie leider nicht. Außerdem ist auch noch der bereits von Schmid beobachtete Eingriff von oben sichtbar. Der Mörtel mit den Schalbretterabdrücken wurde durchstoßen und anschließend mit Granitbruchsteinen ohne Mörtel wieder verkeilt (Abb. 11).
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Die Eisentruhe mit den Gebeinen der seligen Gisela
Am 18. 11. wurde die bereits bei der Erhebung am 26. 10 geöffnete Eisentruhe erneut geöffnet (Abb. 13), um die Gebeine bevor sie zur anthropologischen Untersuchung nach München (P. Schröter) geschickt wurden, zu trocknen.
Die Eisentruhe, 0,57m x 0,35m, hat im Deckel ein kompliziertes, 10 teiliges Schloß. In die einst mit Stoff ausgeschlagene Truhe hatte man die Skeletteile sorgfältig geschichtet. Man hatte sie mit Holzwolle (Reste eines Kissens ?) abgedeckt. Rechts lag der Schädel mit Resten einer Textilabdeckung. Becken und Rippen befanden sich an der linken Seite der Kiste. Hand,- Finger-, Fuß- und Zehenknochen lagen in der Mitte. Die Wirbelsäule hatte man an der Vorderseite der Kiste eingeschichtet. Darunter befanden sich am Truhenboden die Langknochen (Abb. 14). Die Entnahme der Gebeine erfolgte in 3 Schichten, die photographisch dokumentiert wurden. Bruchstücke des Siegels der bei der Wiederbestattung 1918 beigegebenen Urkunde (s.o) fanden sich zwischen den Knochen. Von der Urkunde selbst hatte sich wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen in der Grabkammer nichts erhalten. Die Kiste wurde anschließend zur Restaurierung abgegeben. Das anthropologische Gutachten wird P. Schröter an anderer Stelle publizieren.
Am 25.11.2000 weihte der Passauer Bischof Dr. Franz Xaver Eder den Altar in der neugestalteten Parzkapelle. Ein Reliquar wurde in das gotische Hochgrab eingefügt.
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Text: Dr. Jörg-Peter Niemeier
Kontakt:
Stadtarchäologie Passau, Dr. Thomas Maurer
Anmerkungen und Abbildungsnachweis
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